Leseabend

 Lesereise nach Böhmen

 

Kralupy auf den Spuren von Jaroslav Seifert

mit Anne und Gunter, Sanja und Sven, Astrid und Ralf

 

Nasses Bild

Ach, die schönen Tage
wenn die Stadt einem Würfel gleicht, einem Fächer, dem Lied eines Vogels
oder einer Muschelschale am Meeresstrand
lebt wohl, lebt wohl, ihr hübschen Mädchen,
denen wir heute begegneten –
wir werden uns nie wiedersehen.

Ach, die schönen Sonntage
wenn die Stadt einem Fußball gleicht, einer Spielkarte und einer Okarina
oder einer schwingenden Glocke
in der sonnenhellen Straße
küssten sich die Schatten der Vorübergehenden,
und Menschen eilten davon, Unbekannte, Fremde.

Ach, die schönen Abende
wenn die Stadt einer Rose gleicht, einem Schachbrett, einer Violine
oder einem weinenden Mädchen
wir spielten Domino,
schwarz gepunktete Steine, mit den dünnen Mädchen in der Bar,
und betrachteten ihre Knie,
die knochig waren
wie zwei Schädel mit den silbrigen Kronen ihrer Strumpfbänder
im verzweiflungsvollen Reich der Liebe.

Jaroslav Seifert

 

CAFÉ SLAVIA

Von der Uferstrasse durch eine Geheimtür
aus so klarem Glas,
daß sie fast unsichtbar ist,
aaaaaaaaaaaaaaund deren Angeln
geschmiert sind mit Rosenöl,
pflegte Guillaume Apollinaire einst einzutreten.

Er trug noch den Kopfverband aus dem Krieg.
Er setzte sich zu uns
aaaaaaaaaaaaaaaund las brutal schöne Verse,
die Karel Teige sofort übersetzte.

Dem Dichter zu Ehren
aaaaaaaaaaaaaaawurde Absinth getrunken,
der grüner
aaaaaaaaaaaaaaaals alles Grüne ist,
und wenn wir von unserem Tisch aus dem Fenster blickten,
floß die Seine unter dem Kai.
aaaaaaaaaaaaaaaaAch ja, die Seine!
Breitbeinig, ganz in der Nähe
erhob sich der Eifelturm.

Einmal kam Nezval mit schwarzer Melone.
Damals ahnten wir nicht,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaebensowenig wie er,
daß Apollinaire die gleiche getragen hatte,
als er sich in die schöne
Louise de Coligny-Châtillon verliebte.
Er nannte sie Lou.